Wortbeflügler

Der heutige Wortbflügler macht sich auf die Suche nach dem Frühling. Hier die Vorgabe:

„Frühlingssuche

In seinem Gemüt herrschte der Winter. So sah er aus dem Fenster und suchte den Frühling. Er musste lange schauen. Doch dann erblühte ein Lächeln auf seinem Gesicht.

© Valentiner“

Und so suchte ich mit:

Um sein Lächeln zu ergründen, muss ich seinen Platz einnehmen, sehen, was er sieht. Also stelle ich mich neben ihn und schaue aus dem Fenster.

Im Garten unter seinem Fenster, direkt am Zaun, ducken sich, dicht an dicht, die Winterlinge. Weit haben sie ihre gelben Blüten geöffnet, ein Gruß an die Sonne, deren Strahlen sie hungrig aufsaugen. Später, wenn die Sonne hinter den Häuserdächern untergehen wird, werden sie ihre Blüten zu kleinen runden Kugeln schließen, die Wärme sicher in ihnen speichern.

Zwischen den Erdhügeln, die die empfindlichen Rosen gegen den Frost schützten, haben sich Schneeglöckchen ihren Weg ans Licht gebahnt. Ihre Köpfchen zittern bei jedem Lufthauch, fast meint man ein leises Klingen zu vernehmen.

Der Blick wandert weiter in den Nachbargarten. Dort hat die Sonne den Tulpenbaum geweckt. Dick sind die Knospen der Magnolie angeschwollen. Der seidige Flaum der Hochblätter bewahrt sie vor kalten Nächten. Wenn man genau hinsieht, meint man schon einen Hauch von zartem Gelb auf der Forsythie zu erkennen. Die Weide, in der äußersten Ecke des Gartens, hat sich über und über mit silbrigweißen, flauschigen Kätzchen geschmückt. Ich kann mich kaum sattsehen. So viele Frühlingsboten vor dem Fenster!  Aber keiner von ihnen ist der Grund seines Lächelns. Was ist es dann?

Er schaut auf die andere Straßenseite. Aber dort blüht nichts. Dort gibt es nur graue Häuser und den nackten Asphalt. Dann begreife ich. Zwei Kinder sind dort beschäftigt. Emsig malen sie mit großer bunter Kreide etwas auf die Straße. Es sind unbeholfene Vierecke, manche nebeneinander, einige hintereinander.

Der Mann klappt das Fenster an. Nun kann man die Kinder auch hören. Eine Erinnerung wird wach. Himmel und Hölle. Das uralte Spiel. Die Kinder hüpfen abwechselnd durch die Felder, ihr Lachen dringt in die Wohnung. Und ein Lächeln erblüht auf seinem Gesicht. Der Winter ist wahrhaftig vorbei. Er freut sich!

© Elvira V.

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4 Antworten zu Wortbeflügler

  1. mayarosa schreibt:

    Schön 🙂
    Bei uns war es letztens so. Da kam die Sonne raus. Es war verhältnismäßig mild. Und da kamen sie alle aus ihren Löchern. Nach der Nachmittagsbetreuung tauchten die Jungs nach und nach in unserem Park auf und die Fußbälle flogen durch die Gegend … ein Versprechen für die nächsten Monate.

    • …und nicht nur für die nächsten Monate. Es hat für mich so etwas Hoffnungsvolles, schwer Beschreibbares. So lange Kinder im Frühling wieder die Straßen,Parks und Plätze beleben, kann der Winter nicht gewinnen. Ich meine nicht die Jahreszeit – da spielen Kinder auch im Freien. Ich meine die Kindheit als Symbol des Frühlings. Nur, dass zu viele „Gärtner“ zu wissen meinen, wie die Blumen richtig zu wachsen haben, macht aus dem Frühling eine arg kurze Zeit!

  2. mayarosa schreibt:

    Ich denke, ich verstehe was du meinst: Kinder sind Zukunft.
    Und mit dem zweiten Teil: Die Eltern sollten keinen französischen Garten aus ihren Kinder machen, indem sie sie nach ihrem Willen formen. Eher sollten sie das Bäumchen wachsen lassen, aber nicht wild, sondern behutsam so zurechtschneiden, dass sich ein gesunder und reich tragender Obstbaum entwickeln kann.

    • Ja, genau das meine ich. Ich denke aber auch, dass heute die Zeit, in der Kinder Kinder sein dürfen, immer kürzer wird. Aus ihnen werden so schnell große Menschen gemacht. Das ist wie seit einigen Jahren mit dem Frühling. Er ist irgendwie kürzer geworden.

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