Muttertag in Worten

Ich bin ein Kind der Alternativzeit. Der Latzhosen. Der Friedensbewegung. Der AKW-Bewegung. Der Grüngedanken. Der Feminismuswelle. Einer Ära, als mich meine Kinder eine zeitlang mit Vornamen anredeten. Das vorweg zum Verständnis.

Als meine Söhne klein waren brachten sie aus dem Miniclub erste Muttertagsbilder mit. In der Grundschule wurde für diesen Tag gemalt und später gebastelt. Noch später schrieben sie ohne Anleitung von Erziehern oder Lehrern Geschichten und Gedichte für mich. Dann kam die Zeit des Aufstehens zu nachtschlafender Zeit um den Frühstückstisch zu decken und ungeduldig auf Mamas Aufstehen hinzuwirken. Schließlich wurde überlegt, wieviel von dem wenigen Taschengeld für welches Geschenk abgezweigt werden kann. Und dann kam der Tag, als sie groß genug waren um ihnen sagen zu können, dass ich den Muttertag als solchen ablehne. Sie haben das verstanden.

Meine Mutter legte Wert auf diesen Tag, dabei sahen wir uns sehr oft. In den letzten 10 Jahren ihres Lebens fast täglich. Wir wohnten nur ein Haus voneinander entfernt. Dennoch war dieser eine Tag im Jahr etwas besonderes für sie. Schnittblumen mochte sie nicht, auch keine Zimmerpflanzen. Am meisten freute sie sich über eine dicke Scheibe Schichtnougat und ein Pflänzchen für den Garten.

Blumen habe ich ihr heute gebracht. Während Mann und Hund eine Runde liefen, war ich auf dem Friedhof. Mein Gesteck wirkte so verlassen auf der Grünen Wiese wie ich mich fühlte. Darum stellte ich es zu den anderen Blumen und Kerzen auf die Sammelstelle. Auf einem Grablicht stand ihr Name, Gerda. Wer hat das dort hingestellt? Vielleicht aber liegt noch eine andere Gerda hier? Auf der Wiese nebenan sind die Reihen für die nächsten Urnen durch Plane gekennzeichnet. An mehreren Stellen wachsen kräftige Löwenzahnpflanzen durch das Schwarz. Welch lebensstarke Blume.

Ich lief noch etwas über den Friedhof, schaute interessante Grabsteine an und fotografierte Stellen, die mir schon immer ins Auge gefallen waren, die näher zu betrachten ich bisher aber nicht die Kraft aufbringen konnte. Dann ging ich nach Hause. Auf dem Heimweg begegneten mir Familien mit Blumensträußen und Kuchen. Sie gingen zu Müttern und Omas. Und plötzlich wünschte ich mir so sehr, meine Kinder heute zu sehen. Vielleicht kämen sie ja und überraschten mich? So wie ganz ganz früher. Aber sie haben ihre Lektion gelernt. Ein Sohn rief an und bedankte sich für 33 Jahre liebevoller Fürsorge. Der andere rief sogar mehrere Male an – ohne Muttertagsglückwünsche. Und das ist auch in Ordnung so! Ich habe es doch so gewollt, oder?

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15 Antworten zu Muttertag in Worten

  1. Himmelhoch schreibt:

    Ich will mich hier nicht äußern dazu – aber ich kann alles so wahnsinnig gut verstehen

  2. Gudrun schreibt:

    Liebe Elvira,
    ich bin auch so eine … in Latzhosen. Auf den Muttertag habe ich nie wert gelegt, aber mein Jan hat mir heute Blumen geschenkt. Und meine Tochter hat einen Kuchen mitgebracht. Es ist schon schön, wenn die Kinder an einen denken. Allerdings ist das bei uns nicht unbedingt an diesen einen Tag geknüpft.
    Liebe Grüße von der Gudrun unterwegs
    (Ich besuche mal einige Blogs. Ganz ohne euch geht gar nix.)

    • Elvira schreibt:

      Genau so sehe ich das auch. Und das ist bei uns auch der Fall. Ich sehe die Kinder oft und sie melden sich nicht aus Pflichtbewusstsein, sondern weil es ihnen ein Bedürfnis ist. Wahrscheinlich hatte ich heute so ein Muttertagssyndrom, weil ich auf dem Friedhof war und meine Mutter so vermisse.
      Ich hoffe, bei Dir läuft alles wie geplant.
      Liebe Grüße,
      Elvira

  3. Frau Momo schreibt:

    Ich habe das gar nicht wahrgenommen, das heute Muttertaq ist. Meine Mutter hat zwar nie Latzhosen getragen, aber den Muttertag auch schon immer abgelehnt.

  4. Eva schreibt:

    „Ich habe es doch so gewollt, oder?“ … das habe ich mich gestern auch mal kurz gefragt, als dieser Muttertag (auf den ich ebenfalls keinen Wert lege) vormittags ganz besonders unsonntäglich ablief.
    Es sind Erinnerungen an Rituale oder besondere Tage, durch die das „Vermissen“ der Nächsten besonders deutlich spürbar wird – ob man will oder nicht.
    Herzlichen Gruß
    Eva

    • Elvira schreibt:

      Manchmal vermute ich, dass das auch mit dem Älterwerden zusammenhängt.
      In dem Jahr, als mein Sohn Vater wurde, habe ich ihm in der Adventszeit einen Brief geschrieben, in dem ich ihn darauf aufmerksam machte, dass sich neue Rituale entwickeln werden. Rituale, die sich in der neuen kleinen Familie festschreiben werden und dass er keine schlechtes Gewissen bekommen muss, wenn sich unsere Rituale langsam auflösen. Das war ein weiterer Abnabelungsprozess für ihn. Beide Söhne sind uns sehr verbunden, daher war das Loslassen auch von ihrer Seite nicht ganz einfach.
      Ich wünsche Dir einen schönen Start in die neue Woche!
      Liebe Grüße,
      Elvira

  5. monisertel schreibt:

    Irgendwie haben mich Deine Worte zum Muttertag traurig gestimmt…..

  6. wildgans schreibt:

    Wehmütig.
    Ein leichter Liebesmutterwindhauch über dem Sonnenfriedhof….

    • Elvira schreibt:

      Sonnenfriedhof – wie wahr. Und das wird in einigen Wochen, hoffentlich, wieder für alle sichtbar. In den letzten Jahren standen hunderte Sonnenblumen auf dem langen Grünstreifen zwischen den Hauptwegen.

  7. bubblegumcandy schreibt:

    es ist zwar schoen, wenn die kinder an muttertag an die mutter denken und ihr ein kleines geschenk oder blumen bringen oder nur zeit mit ihr verbringen, es muss nicht mal ein geschenk dabei sein. aber ich sage mir auch wiederum wenn kids nicht das ganze jahr ueber an ihre mutter denken, dann braeuchten sie es an muttertag auch nicht zu tun. ich finde eine mutter sollte man das ganze jahr ueber ehren, ich meine damit, man sollte an sie denken und auch mal ein bisschen zeit mit ihr verbringen.

    lg
    Sammy

    • Elvira schreibt:

      Ja, genauso habe ich das auch immer gesehen. Meine Kinder und ich sehen uns häufig und telefonieren fast täglich. Das machen sie nicht, weil ich es erwarte, sondern weil es ihnen ein Bedürfnis ist.
      Und trotzdem hat sich meine Haltung zum Muttertag ein klein wenig geändert. Aber vielleicht hat das wirklich etwas mit dem Älterwerden zu tun.
      Liebe Grüße auch an Dich!
      Elvira

  8. Li Ssi schreibt:

    wir kommen aus der selben zeit und den selben bewegungen… ja und klar, habe auch ich den muttertag abgelehnt, später, als die kinder es begreifen konnten. ein tag, den die nazis ins leben gerufen haben. ein grund mehr in zu boykottieren!
    an solchen tagen stellt sich bei mir keine wehmut ein. anders wäre es, wenn meine kids meinen geburtstag vergessen würden, aber das ist noch nie vorgekommen. und kleine aufmerksamkeiten von ihnen für mich kommen rund ums jahr. so, wie ich es mir wünschte.

    danke für diesen sehr persönlichen artikel. der dann aus noch ganz anderen gründen berührte…

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