Wir haben uns neue Polstermöbel gekauft, schon vor vielen, sehr vielen Wochen. Am nächsten Mittwoch werden sie endlich geliefert. Leider nimmt das große Möbelhaus die alten Sofas und Sessel nicht mit, so wie es früher üblich war. Da interessiert es auch nicht, dass wir sie vor langer Zeit im selben Möbelhaus gekauft hatten. Beim Kauf riet man uns, den Abtransport über die BSR machen zu lassen, da die hauseigene Entsorgung recht teuer wäre. Als vor 14 Tage der Liefertermin stand, rief ich sofort die Abteilung Sperrmüll an und bekam eine Terminmöglichkeit Ende August Anfang September genannt. Auch andere Unternehmen hatten keine zeitnahen Termine. Also haben wir uns stolze 190 Euro ans Bein gebunden und die Abholung auf kommenden Dienstag vertraglich im Möbelhaus vereinbart. Ich muss dazu sagen, dass ich niemanden aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis das Schleppen unseres sehr großen und extrem schweren Sofas zumuten würde.
Damit das in der nächsten Woche alles problemlos abläuft, musste heute der Flur geräumt werden. Der ist nämlich ziemlich schmal. Also Kommoden, Vitrine und Bücherregal geleert, Bücher, Gläser und Schubfächer und anschließend die Möbel ins Esszimmer geräumt. Eine günstige Gelegenheit zum Entsorgen einiger unnützer Dinge. Aber auch eine Gelegenheit, um den Schatten der vergangenen Kindheit nachzuspüren.
Mit fünf und mit sechs Jahren verbrachte ich zwei lange und wunderbare Sommer bei norwegischen Pflegeeltern. Aus dieser Zeit stammt dieses Poesie-Album:
Das Mädchen auf dem Bild bin nicht ich – es steckte von Anbeginn in der Fotohülle. Ich sprach in den Jahren wohl ein gutes Norwegisch, denn ich konnte mich problemlos mit meinen Pflegeeltern, die ich Mama und Papa nannte, und allen Verwandten und den Kindern drumherum hervorragend unterhalten. Probleme gab es wohl, als ich wieder nach Deutschland kam. Jedenfalls erzählte meine Mutter mir, dass ich zunächst nicht mehr Deutsch sprechen konnte (oder wollte). Aber lesen konnte ich Norwegisch nicht.
Wenn ich mir jetzt das Geschriebene ansehe, habe ich die meisten Gesichter, die zu den Namen gehören, vor Augen: Mama und Papa natürlich, deren erwachsene Tochter Anne.Margrethe, ihren Mann, Mona aus der Nachbarschaft, Lilleguld und Lillebror. Ich sehe die Schafe in den Bergen und die beiden Schafe am Haus vor mir, schmecke die Johannisbeeren und die süßen Zuckererbsen, bei deren Ernte ich fleißig mithalf. Ich erinnere mich an lange warme Sommernächte, in denen wir vor dem Haus saßen und darauf warteten, dass der Sputnik sich zwischen all den vielen Sternen zeigte. Und ich erinnere mich an die Liebe und Zuwendung, die sich jedes Kind wünscht. Aber auch an die schier grenzenlose Freiheit des Herumstromerns mit den anderen Kindern, Schlafen im Garten im eigens für mich gekauften Zelt. Vielleicht liegt es an diesen Sommermonaten, dass „Ferien auf Saltkrokan“, die „Kinder aus Bullerbü“, „Madita“ und „Michel“, auch wenn sie in einem anderen skandinavischen Land „leben“, meiner Kinderseele unglaublich nahe sind.
Manchmal frage ich mich, was aus ihnen geworden ist. Den Menschen, die einen sehr großen Anteil an dem haben, was aus mir geworden ist. Ich denke mit sehr viel Wärme und Dankbarkeit an sie!
Vielleicht liest jemand von damals einmal hier, wer weiß? Oder seine Kinder oder Kindeskinder – die Welt ist doch recht klein geworden. Schön wäre es, wenn ich wüsste, was mir da alles ins Poesie-Album geschrieben wurde.
Das finde ich ja toll, dass du „Pflegeeltern“ in einem anderen Land hattest, die du heute noch in liebevoller Erinnerung hast. Weißt du, was mir bei den ganzen Einträgen angenehm auffällt? Keiner verstümmelt deinen Namen zu irgendeiner Abürzung, obwohl doch Elvira für so ein kleines Mädchen sicher ein recht erwachsener Name war. Wurdest du in der Klasse auch immer bei deinem vollen Namen genannt?
Viel Freude mit den neuen Möbeln wünscht dir
Clara
Ja, ich wurde immer mit meinem richtigen Namen gerufen. Nur meine Mutter nannte mich „Mausi“. Jedenfalls so lange, bis sie mich eines Tages quer durch die Starßenbahn so rief und ich nicht reagierte. Vielleicht war so um die sieben oder acht Jahre alt.
Kleinen Kindern fällt mein Name natürlich schwer. Bei meiner Enkeltochter heiße ich Oma Avia, aber das ist o.k. Ich würde mich nur gegen Elli wehren!! Eine Zeitlang gefiel mir der Name nicht, da mochte ich meinen zweiten viel mehr: Christine.
Liebe Grüße von Elvira
Ich wurde ja „Christel“ gerufen – und da standen mir irgendwann die Haare zu Berge. Aber es gibt noch immer Unverbesserliche, bei denen ich das auch heute noch dulden muss.
Früher habe ich meinen zweiten Namen (Martha) gehasst – doch heute könnte ich mich sogar damit anfreunden. Doch jetzt würde ich am liebsten ganz und gar auf Clara umsteigen 🙂
Die Du für uns hier ja auch bist 🙂
In der Tat; ich muss imemr bewusst deinen ‚richtigen‘ namen schreiben, ansonsten bist du für mich auch ‚Clara‘. Das ist schön und passt.
Na, dann bleib doch bei Clara, ich finde ihn wirklich schöner. Ich kenne eine beim Doppelkopf, die hat es geschafft, von Hannelore auf Hannah zu wechseln. – Wenn ich so richtig wüsste, wie ich es anstellen sollte, ich täte es auch. – Großes Schild mit CLARA umhängen, T-Shirt bedrucken lassen? Mir rutscht auch schon mal im Zivilleben Clara raus.
Namen auf endendes a sind klangvoller, Christina hätte mir auch besser gefallen, aber am besten Julia wie meine Oma.
Clara ist wirklich sehr schön. Nenn‘ dich doch einfach so, wenn es dir gefällt. Nur offiziell bist du dann noch ‚die andere‘ 😉
Danke fürs Mutmachen!
Wunderbar, so in Erinnerungen zu schwelgen, vielleicht auch ein bisschen traurig? Weißt du denn gar nicht mehr, was aus ihnen geworden ist? Sie wüssten es umgekerht bestimmt auch gerne. Wie schade, wenn man sich so aus den Augen verliert.
LG, April
Nun, das ist 52 Jahre her. Als kleines Kind hatte ich keine Möglichkeit den Kontakt zu pflegen. Meine Eltern hatten ganz andere, existenzielle Probleme zu lösen und ließen nach kurzer Zeit den Kontakt einschlafen. Ich bedauere es auch, dass mein Norwegisch nicht weiter gepflegt wurde. Es ist nicht ein Wort hängen geblieben.
Liebe Grüße von Elvira
P.S. Traurig? Nein, nicht wirklich traurig. Ich hatte eine schöne Zeit, an die ich mich gerne erinnere. Darüber morgen mehr. Traurig vielleicht darüber, dass so vielen Kindern solche Zeit nicht vergönnt ist. Die freie Zeit meine ich, Zeit, die nur den Kindern gehört, ohne Ansprüche und pädagogischen Zeigefinger.
Stimmt, das ist ja schon sooo lange her. Ich vertu mich immer mit der Zeit und dem Alter 😉
Hatten wir nicht früher alle so eine Kindheit, auch hier im Nachkriegsdeutschland? Keine Gruppen, kein Zwang, den ganzen Tag draußen herumstreifen, …
Ich hatte hier solche Zeiten nicht, mein Alltag hieß artig sein und ein anständiges Mädchen werden 😉 Davon habe ich mich erst sehr spät befreien können.
Artig sein sollte ich auch, aber da ich tagsüber stundenlang draußen war, hatte meine Mutter keine Kontrolle über mich 😉
Ich war so gut wie nie draußen. Meine Brüder hatten es da später leichter.
Vielleicht meldet sich ja wirklich jemand. Das wäre sicherlich großartig. Was für eine Erinnerung doch so ein Album sein kann. Ich habe meine auch noch, aber die sind natürlich „nur“ aus Hamburg.
Ich habe meine Vornamen übrigens u.a. genau aus dem einen Grund, das man ihn nicht verstümmeln kann. Es mußte was mit B sein, wegen Stabreim (BB, meine Mutter hat diese Initialen auch), aber Bettina fiel schon mal aus. Britta stand noch zur Debatte, aber dann wurde es doch der, den ich jetzt trage und den ich Zeit meiner Kindheit gehasst habe.
Ich glaube, die meisten Menschen mögen ihre Namen zeitweise nicht. Aber mir gefällt Deiner!
April hat mich auf Dich aufmerksam gemacht. Möchtest Du diesen Artikel, vielleicht leicht verkürzt, auf meinen Blog posten?
Liebe Grüße
Dina aus Fredrikstad, jetzt in Norfolk, UK
sonst in Bonn
http://toffeefee.wordpress.com
Hallo, Dina! Danke für das Angebot – vielleicht kannst Du ihn verlinken? Oder den morgigen. Ich habe Fotos meiner Pflegeeltern und einiger Kinder gescannt und stelle sie morgen ein. Den Artikel habe ich schon heute vorbereitet, da ich morgen früh nicht mehr dazu kommen werde (fahre für zwei Tage zu den Schwiegereltern meines Sohnes).
Liebe Grüße nach Norfolk von Elvira
liebe Elvira,
gerade wollte ich dir vorschlagen, dass du dich an Dina wendest, wegen der Übersetzung und der Möglichkeit noch Lebende aus dieser Familie zu finden, da ist sie schon da! wunderbar dieses Netz, an dem wir weben und spinnen!
ich mag Elvira! und Clara sowieso (meine Enkelin heißt mit zweitem Namen so, leider nicht mit dem ersten…) und meinen Namen, och… den mag ich mittlerweile- die Versöhnung war wichtig!
herzliche Grüße Frau Blau
Das erinnert mich ja an meine Jugend, die ich bei Freunden meiner Mutter in Schweden verbrachte. Diese Gemütlichkeit und das von dir erwähnte freie Herumstromern fand ich super, das Bootsfahren, Krebse fangen und Fische, das Blaubeeren pflücken und die Mittsommernacht. Noch heute träume ich manchmal von diesen „Bullerbü“-Jahren. Skandinavien um die Weihnachtszeit herum, was Gemütlicheres kann ich mir nicht vorstellen.
Genieß deine neuen Möbel.
Liebe Grüße von der sonnigen Küste Norfolks
Klausbernd und seine beiden kichernden Buchfeen Siri und Selma 🙂 🙂 🙂