Himmel über Berlin

Gestern habe ich mir die Mitternachtsspitzen in der Mediathek angesehen und das Ende, Schmicklers Auftritt,  begleitete mich durch die Nacht und den heutigen Tag. Ich träumte, das erste Mal seit vielen Jahren, wieder vom Krieg. Nun habe ich ihn nicht miterleben, nicht mit-erleiden müssen und er war auch nicht oft Thema elterlicher oder großelterlicher Erzählungen. Nur meine Mutter schilderte mir einige Male, wie es ihr als Kind in Berlin erging, wenn der Fliegeralarm sie und ihre Eltern und Geschwister aus dem Schlaf riss und sie durch die Straßen zum nächsten Luftschutzbunker rannten, die kleinen Geschwister auf dem Arm und im Kinderwagen. Welche Ängste sie ausstanden, ob es ihre Wohnung noch geben würde, wenn sie nach der Entwarnung den Bunker verlassen durften. Sie hatten immer Glück, wurden nie ausgebombt. Die Kindheit und Jugend meiner Mutter aber war verloren. Ich las später sehr viel über diesen und andere Kriege und bezahlte meine Wissbegierde mit Träumen bombenabwerfender Flugzeuge, vor denen ich wegrannte, ohne je einen Schutzraum zu erreichen. In der letzten Nacht flogen sie wieder über mir, erschienen plötzlich, fast lautlos, am Himmel und machten Jagd auf mich.

Als ich heute Abend nach Feierabend nach Hause ging, sah ich diesen Himmel, der so wunderbar aussah, so unglaublich schön. Nicht nur über Berlin wird er so ausgesehen haben. Ich blieb stehen und mein Herz ging auf. Wie berührte mich dieser Anblick. Und ich vergaß für einige Momente, wie schrecklich es in dieser Welt zugeht. Es war dies Vergessen, das wir auch erleben, wenn wir uns in ein Buch fallen lassen, ein Gedicht wie Konfekt auf der Zunge zergehen  und Musik durch unsere Adern fließen lassen. Ein Moment absoluter Ruhe und voller Frieden. Bis zu dem Augenblick, als ich mir überlegte, diesen Himmel zu fotografieren. Da war er vorbei, dieser wimpernschlaglange paradiesische Zustand.

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12 Antworten zu Himmel über Berlin

  1. perlengazelle schreibt:

    Es stimmt wohl, dass sich die (Alb)Traumata der Eltern vererben, auch wenn diese kaum oder gar nicht darüber sprechen. Vielleicht kleine atmosphärische Schwingungen, die die Kinder genau registrieren. Ich bereue heute, meine Eltern und Großeltern nicht mehr über diese Zeit gefragt zu haben – jetzt ist es zu spät. Vielleicht hätte ich dann manches Unverständliche, Lieblose, Ungerechte nicht entschuldigt, aber besser nachvollzogen.

    • Elvira schreibt:

      Mein Stiefvater war in der Waffen-SS, das Thema Krieg war daher keines bei uns. Ich weiß nur, dass er sehr darunter gelitten hat. Das ergab sich aus kleinen Nebensätzen.
      Leider ist es oft zu spät für Fragen. Ich recherchiere gerade Geburts- und Sterbedaten einiger Verwandten und muss feststellen, dass es für zwei Tanten niemanden mehr gibt, der mir genaueres sagen könnte. So verlieren sich die Menschen irgendwann doch in Vergessenheit, es sei denn, sie bleiben durch ihre Schriften, ihre Musik, ihre Bilder, Helden- oder Gräueltaten für ewig im Gedächtnis.

  2. Franka schreibt:

    Wunderschöne Fotos. Oft, wenn ich die Schönheit der Natur sehe, insbesondere des Himmels, denke ich an den Kontrast zwischen dieser Schönheit und der traurigen Realität und es kommt mir alles so unwirklich vor. Eigentlich müssten doch alle Menschen ganz friedlich werden, wenn sie in den schönen Himmel gucken oder in eine Blüte. Aber wahrscheinlich tun das viele nicht …

  3. Ulli schreibt:

    Liebe Elvira, die Erfahrungen unserer Eltern und Grosseltern leben in uns, die wir die Kriege nicht miterlebt haben, weiter, es ist viel Arbeit sich daraus zu befreien, das ist das eine. Das andere ist die Schönheit des Lebens und der Mussen, es ist gut, wenn wir den Blick hierfür nicht verlieren und es ist ebenso gut nicht zu vergessen und sich immer wieder für den Frieden einzusetzen, auch wenn es sinnlos erscheint.
    herzlichst Ulli

    • Elvira schreibt:

      Nein, der Einsatz für den Frieden ist sicherlich nicht sinnlos. Gerade in diesen Zeiten. Dennoch habe ich ein bisschen Angst – wahrscheinlich rührt daher dieser alte Traum aus meiner Kindheit.

      • Ulli schreibt:

        ich habe auch Angst, wenn ich in diese Welt schaue, versuche ihr aber keinen zu grossen Raum in mir zu geben … schwierig!

        • Elvira schreibt:

          Ist es nicht sonderbar, dieses Bloggen? Da sitzen wir zwei (und viele andere auch) an unseren Rechnern, lesen, was die andere schreibt und können gleich antworten. So weit auseinander und dennoch so nah. Die meiste Zeit denke ich nicht groß darüber nach, das Netz ist Alltag geworden, aber gerade jetzt, wo wir so zeitnah uns lesen, wird es mir wieder bewusst. Verbunden durch unsichtbare Wellen, Sphären, letztendlich nur Strom….

          • Ulli schreibt:

            das geniesse ich am Netz bei allen Gefahren, die es birgt, wie sonst würde ich an manchen Tagen diesen berg aushalten? Das Gefühl und Wissen, dass es noch mehr wie ich gibt, die lesen, schreiben, fotografieren, versuchen sich in dieser Welt zurecht zu finden ist für mich ein grosser Trost geworden …

  4. Martin schreibt:

    Ein wunderschöner Himmel. Ja, der Augenblick ist immer etwas besonderes und Du hast ihn genossen bevor Du die Fotos gemacht hast. Ich habe gestern auch kurz überlegt… mache ich ein Foto… nein… nur den Anblick genossen. Nächstes Mal wieder ein Foto 😉

    Die Flugzeugträume: Es lohnt sich sehr die Mitbringsel und Altlasten früherer Generationen (oder Leben) aufzulösen. Mit Familienaufstellungen geht das u.a. ganz gut.

    • Elvira schreibt:

      Ich hatte nur mein iPhone dabei und bin wieder einmal überrascht, wie gut die Fotos geworden sind (mit der einfachen Fotooptimierung des kleinen iPhotoprogramms). Interessant, dass Du von früheren Leben schreibst. Manche meiner Träume oder scheinbarer Erinnerungen können definitiv nicht aus meinem (jetzigen) Leben sein. Es ist eine spannende Frage, was in unseren Gehirnen geschieht, welche Erinnerungen es sich zurecht bastelt. Hätte ich heute die Wahl einer Berufung, würde ich gerne auf diesem Feld forschen.

  5. vivilacht schreibt:

    herrlich Himmelsbilder

Ich lese gerne Deine Meinung dazu

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