Das ist nicht philosophisch gemeint, sondern entspricht meiner Erfahrung der letzten Monate. Im letzten Jahr wurde nach wirklich schmerzhaften Wochen, besonders die Nächte waren qualvoll, eine Krankheit diagnostiziert, von der ich vorher noch nie etwas gehört hatte: Polymyalgia rheumatica , kurz PMR. Rheuma, natürlich kannte ich diese Krankheit. Nicht wenige unserer Patienten waren davon betroffen. Einige kamen in regelmäßigen Abständen zum Spritzen eines Mittels, das MTX heißt. Ich habe mir darüber keine Gedanken gemacht. Heute weiß ich, dass es beim Rheuma etliche Unterarten gibt. Die verbreitetste Form ist die rheumatoide Arthritis. PMR ist hingegen nicht mit letzter Sicherheit zu diagnostizieren. Laborwerte, die typisch für Rheuma sind, bleiben im Normbereich. Zunehmende Schmerzen, besonders in den Armen und Beinen, Gewichtsabnahme, ein starkes Krankheitsgefühl und schließlich erhöhte Entzündungswerte im Blut ließen einen meiner Chefs auf PMR tippen. Ich bekam eine hohe Dosis Kortison (Prednisolon 100mg) und zwei Tage später fühlte ich mich wie neugeboren. Das war das letzte Indiz, das für diese Krankheit sprach. Es ging mir so gut, wie ewig nicht mehr. Was ich nicht wusste, Kortison in dieser hohen Dosierung ist wie ein Rauschmittel. Nicht nur, dass es mir körperlich hervorragend ging, ich war von einem Elan beseelt wie seit, ach, keine Ahnung, wann das zum letzten Mal so war. Ich hätte Bäume ausreißen können. Natürlich blieb das nicht so! Mit jeder Reduzierung der Tagesdosis schwand dieser Elan und es zeigte sich, dass Kortison Segen und Fluch zugleich ist. Die rheumatischen Beschwerden wurden erheblich weniger, dafür schlug das Cushing- Syndrom zu, der Vollmond wäre neidisch auf mein Gesicht geworden, hätte er es sehen können. Ich verlor an Kraft, konnte lange nur mithilfe zweier Gehhilfen unterwegs sein und wurde im wahrsten Sinne des Wortes dünnhäutig. Blaue Flecken und Petechien an den Armen sind an der Tagesordnung. Einen Rheumatologen zu finden, erwies sich als ausgesprochen schwierig. Jetzt bin ich seit sechs Monaten in einer solchen Praxis, aber das Gelbe vom Ei ist das auch nicht. Ich muss alle vier Wochen zur Blutabnahme, danach wird mir mitgeteilt, ob ich die Dosierung weiter reduzieren darf. Mittlerweile bin ich bei einer Tagesdosis von 4mg. Den Arzt habe ich bisher 2x gesehen, also einmal im Quartal. Beim letzten Mal musste ich die Arme heben und so tun, als ob ich Glühbirnen in eine Lampe drehen würde. Das war kein Problem. Im Arztbrief stand dann: PMR gerade nicht aktiv. Auf einer Seite natürlich schön zu lesen, aber es fühlt sich nicht so an. Zwar kann ich wieder ohne Gehhilfen unterwegs sein, das Vollmondgesicht ist wieder meinem alten Gesicht gewichen und ich kann meistens gut schlafen. Dennoch fühle ich mich nicht gesund. Die Feinmotorik hat sehr gelitten, besonders das Schreiben fällt mir extrem schwer. Ich bekomme Krämpfe in der rechten Hand, die sich den halben Arm hoch ziehen. Den Daumen und den Zeigefinger muss ich mit der anderen Hand aus dem Krampf lösen. Manchmal geschieht das auch, wenn ich Besteck halte. Neurologisch wäre alles in Ordnung, ein Karpaltunnelsyndrom wurde ausgeschlossen. Ein Achselzucken und weiter geht’s. Mir ist oft flau im Kopf, ein Gefühl wie Watte, und ein Anflug von Schwäche und Zittrigkeit macht sich dann breit. Aber keiner weiß, was das ist. Die Laborwerte sind im grünen Bereich, also müsste es mir gut gehen. Vielleicht ist es einfach das Alter? Oder alles zusammen?
Noch etwas zu der rheumatologischen Praxis. Ich habe ja sehr viele Jahre in einer großen Praxis gearbeitet. Wir hatten viele Fortbildungen zum Umgang mit Patienten und sogar einen Coach, der uns etliche Tipps geben konnte, die uns wirklich geholfen haben, eine gut organisierte Praxis mit überwiegend zufriedenen Patienten zu haben.
Mein erster Termin beim Rheumatologen war an einem Montag um 14:00 Uhr. Ich war eine halbe Stunde früher dort, weil ich mit den Öffentlichen unterwegs war und man ja nie weiß, zu welchen Störungen es kommen kann. An der Praxistür hing ein Schild mit der Information, dass gerade Pause ist und um 15 Uhr wieder geöffnet wird. Ich rief in meinem Handy die Erinnerungsmail auf, in der deutlich 14 Uhr stand. Was sollte ich tun? Ich wartete und klopfte kurz vor der Zeit an die Tür, da ich hörte, dass jemand in der Praxis war. Es wurde auch geöffnet und ich wies auf meinen Termin hin. Die Antwort der Mitarbeiterin: „Aber lesen könn se och, oder?“ und schwupp, war die Tür wieder zu. Ich war sprachlos und kurz davor, wieder zu gehen. Aber ich brauchte diesen Arzt, also wartete ich und siehe da, Punkt zwei ging die Tür wieder auf. Jetzt hätte ich meinerseits natürlich fragen können, ob die junge Frau entweder die Uhr nicht lesen kann oder schlicht und einfach die falsche Information ausgehängt hat. Denn es stellte sich auf Nachfrage heraus, dass an allen Tagen, außer montags, tatsächlich erst um drei wieder geöffnet wird. Solche Erlebnisse hatte ich noch mehrere. Vergessene Anrufe, kein Hinweis darauf, dass die Praxis von Datum X bis Datum Y geschlossen hat u.ä. GsD denke ich mit und konnte somit Fahrten, die umsonst gewesen wären, durch gezielte Nachfragen vermeiden. Ich bin auch einen gewissen Hygienestandard gewohnt (das wurde und wird in unserer Praxis sehr genau genommen). Nagellack, falsche Nägel und Ringe sind verboten, alles potentielle Verstecke für Keime. Über Praxiskleidung mag man unterschiedlicher Meinung sein, bei uns gibt es sie und es wird darauf geachtet, dass diese nicht mit der Alltagskleidung in Berührung kommen. Extra Schränke wurden von einem Tischler angefertigt. Wir hatten auch in Punkto Hygiene viele Fortbildungen und es war erschreckend zu sehen, was man so aus der Praxis mit nach draußen nehmen kann. Und Blutabnahmen ohne Handschuhe? Undenkbar! Wahrscheinlich habe ich aus meinem Berufsleben einen besonderen Blick auf die Arbeitsweise anderer Praxen. Bei dem, was ich da so erlebe (nicht nur beim Rheumatologen), wundert es mich, dass überhaupt noch Patienten in diese Praxen kommen. Auch bei uns herrscht nicht immer eitel Sonnenschein, aber es wird stets versucht, den Patienten gegenüber freundlich und geduldig zu sein. Denn die wenigsten gehen aus Langeweile zum Arzt! Sie sind schlicht und einfach krank und können erwarten, freundlich empfangen zu werden. Ob ihnen der Arzt oder die Ärztin letztendlich helfen kann, steht natürlich auf einem anderen Blatt.