Das Leben ist kein Film

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Grundgesetz, Artikel 1 (1)

An diesen ersten Artikel unseres Grundgesetzes musste ich denken, während ich gleichzeitig über den Humor lachte und mich der Leichtigkeit des Erzählstils im Film „Spätzünder“ , den ich mir wieder einmal ansah, erfreute. Doch trotz all der netten Pointen und versteckten Anspielungen, trotz der wunderbaren Schauspielkunst der alten und jungen Darsteller, hatte sich dieser Gedanke wie ein Splitter in Kopf und Herz festgesetzt. Auch, weil das Thema „Alter und seine Folgen“  vor kurzem schon Thema war.

Die Protagonisten dieses Filmes sind gut betuchte alte Menschen, die es sich leisten können, in einer Seniorenresidenz zu wohnen – ich vermeide bewusst das Wort „leben“ – , die eindeutig zu den besseren gehört. Allerdings scheint ein Aufnahmekriterium zu sein, beim Einzug die Würde an der Garderobe abzugeben. Die Persönlichkeiten und Charaktere haben sich den allgemeinen Geschäftsbedingungen, also der Hausordnung, unterzuordnen.

Regeln müssen sein, dort, wo viele Menschen gemeinsam wohnen und/oder betreut werden. Sie sorgen dafür, dass Rituale entstehen, sich  ein Gerüst bilden kann, an dem sich die Bewohner orientieren können. Die meisten wissen sehr wohl, dass hier ihr letzter Lebensabschnitt begonnen hat, sie ihre letzte Wohnung oder ihr letztes Zimmer bezogen haben.Wie wichtig  wäre es jetzt, ihnen, die oft nicht aus freien Stücken diesen Schritt gegangen sind, ein freundliches Willkommen zu bereiten. Ihnen ein sanftes Einleben zu ermöglichen und  ihre Persönlichkeit und ihren Charakter zu tolerieren.

Ich erinnere mich an eine Reha, die ich vor vielen Jahren hatte. Um 22:00Uhr hatte jeder in seinem Zimmer zu sein. Das wurde kontrolliert! Diese Maßnahme empfand ich – wie auch die meisten anderen Rehagäste –  als Entmündigung. Es gab, abseits der Zimmer, kleine Bereiche, in denen gespielt und geredet wurde, keiner hätte sich gestört gefühlt. Aber die Regel musste eingehalten werden.

In der Filmresidenz wachte eine kaltherzige Frau über Wohl und Wehe der alten Menschen. Es hatte den Anschein, als ob sie keinerlei Vergnügen, keinen Spaß, keine Albernheit duldete. Jedes Abweichen von der Norm wurde sofort unterbunden. Einfach aus Lust und Laune singen? Gibt es nicht! Egal, wieviel Spaß die Alten dabei hatten. Es gab eine Szene, in der sich drei alte Männer auf dem Männerklo in eine Kabine gezwängt haben um dort zu rauchen. Der Lacher bleibt im Hals stecken, wenn einem klar wird, wie unwürdig das ist. Dem der Residenz zugewiesene Rocco (Sozialarbeit statt Knast) fällt auf, dass es einem Mann, dem er vergaß die Tabletten zuzuteilen, plötzlich bedeutend besser ging.

Das war ein Film, ein Film mit Happy End. Die Realität sieht kein Happy End vor. Denn der Großteil unserer alten Menschen hat nicht die Wahl zwischen einer Residenz (die diesen Namen auch verdient), einem ordentlichen Altenheim oder einer Verwahranstalt (in meiner Jugend gab es noch das Wort Siechenheim). Unsere Gesellschaft, die doch immer mehr aus diesen alten Menschen bestehen wird, scheint genau diese Menschen zu vergessen, wenn sie erst einmal in einer dieser Einrichtungen verschwunden sind.

Die Personalnot und der daraus entstehende Druck in den Heimen ist übrigens nicht  Thema dieses Beitrages! Mir geht es darum, wie wir alte Menschen wahrnehmen – auch außerhalb jener Einrichtungen übrigens. Da sage ich nur „In Würde altern“ und wie anders das von jedem interpretiert wird. Egal wer wann und wo mit alten Menschen in Berührung kommt, sollte nie vergessen, dass es um eine Person geht, die eine eigene, einzigartige Biografie hat, ein Leben vor dem Altsein. Wir nehmen alte Menschen oft als schrullig, anstrengend, misslaunig, schlecht riechend wahr. Das trifft sicher auch zu. Aber sie waren nicht immer so, das Leben hat sie so gemacht, in diese Form gepresst, die wir heute sehen. Wir wissen nichts von ihnen, können das auch nicht, woher? Aber wir sollten uns das immer bewusst machen. Wir, die wir so viel Wert auf unsere Individualität, unsere  Toleranz, unsere Empathie legen.

Mit welcher Band sie denn mal aufgetreten wäre, wird Josefine in dem Film von Rocco gefragt, nachdem sich herausstellte, dass sie mehrere Instrumente spielen kann. In gar keiner Band, antwortet sie, sondern bei den Berliner Philharmonikern.

Eigentlich gehört gar nicht so viel dazu, den alten Leuten ihre Würde zu lassen: Behandelt sie weiter wie alle andere Menschen auch. Vermeidet das „wir“-sagen: Dann ziehen „wir“ uns mal an, jetzt essen „wir“ mal schön brav unser Brot, diese Seite haben „wir“ ja noch gar nicht ausgefüllt u.s.w., u.s.w. Wer möchte schon in ein wir aufgehen?

Wie gesagt, mir geht es hier nicht um spezielle Probleme bestimmter Einrichtungen, schon gar nicht der hoffnungslos personell unterbesetzten Pflegestationen, sondern um den alltäglichen Umgang mit unseren alten Mitmenschen. Sie haben leider keine Lobby.

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8 Antworten zu Das Leben ist kein Film

  1. Ulli schreibt:

    Immerhin wächst das Bewusstsein in manchen Kreisen, dass alte Menschen auch ihre Würde haben und sie auch bis zum Ende behalten sollen. Ebenso breitet sich wieder aus, dass die alten Menschen mit ihren Erfahrungen unterstützend für Jüngere sein können.
    Mir fallen aber auch viele alte Menschen ein, die immer nur auf die Jugend schimpft, die an reaktionärem Denken festhalten, rechthaberisch und unerbittlich sind. Ich finde, dass beide Seiten zu lernen haben und nicht nur wir Jüngeren.
    Ansonsten stimme ich dir zu!
    Herzliche Sonntagsgrüße
    Ulli

  2. Clara Himmelhoch schreibt:

    Ich finde es auch entwürdigend, wenn unbekannte alte Menschen mit „Oma“ oder „Opa“ angesprochen werden.

  3. quiltfru schreibt:

    Was für ein toller Artikel. Auch die Meinungen von Ulli und Clara kann ich nur unterstützen. Ich war neulich im Ulmer Theater „Von morgens bis Mitternacht“ und „Eins,zwei drei“. Beide Male sind wir in der Pause gegangen. Beide Male haben sie behinderte Menschen karikiert und ins lächerliche gezogen. Respektlos! Glauben diese Idioten von Regisseuren eigentlich dass sie niemals alt werden? Insgesamt finde ich, dass es zunehmend an Emphathie fehlt und das wird uns im TV/Theater und Kino so vorgemacht. Entsetzlich.
    Trotzdem, eine schöne restliche Woche, Birgitt

  4. Gudrun schreibt:

    Ich verdränge das Thema regelrecht, weil ich befürchte, so leben zu müssen, wie es gerade noch reicht. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob ich das überhaupt noch will.

  5. Der Wilhelm schreibt:

    “ Egal wer wann und wo mit alten Menschen in Berührung kommt, sollte nie vergessen, dass es um eine Person geht, die eine eigene, einzigartige Biografie hat, ein Leben vor dem Altsein. Wir nehmen alte Menschen oft als schrullig, anstrengend, misslaunig, schlecht riechend wahr. Das trifft sicher auch zu. Aber sie waren nicht immer so, das Leben hat sie so gemacht, in diese Form gepresst, die wir heute sehen.“

    Genau das ist auch meine Überzeugung.

    Ich habe die letzten zwanzig Jahre meines Berufslebens fast nur mit alten Menschen gearbeitet – meist ambulant, als „Gast“ in ihren Wohnungen – und teilweise auch über sehr lange Zeit.

    Da war es häufig so, dass alte Menschen (bevorzugt alte Männer) – anfangs sehr ablehnend und knarzig waren, sich dies aber im Lauf der Zeit sehr zum positiven verändert hat, je besser wir uns kennen lernten, je mehr ich aus ihren Biographien wusste – und je mehr sie über mich wussten.

    Der erste Eindruck war deshalb nicht immer der richtige. (auf beiden Seiten)

    Und was noch dazu kam:
    Je älter ich selbst wurde, um so schneller habe ich auch Zugang zu sehr „schwierigen“ Kunden bekommen, was sicher zum Teil auch daran lag, dass die altersmässige Distanz zwischen meinen Kunden und mir nicht mehr so gross war und ich oft auch eine gute Vorstellung davon hatte, welche Erfahrungen sie geprägt haben könnten – Kriegserlebnisse oder Heimatvertrieben zu sein beispielweise – beides Dinge, die auch in meiner eigenen Familie eine Rolle spielten.
    Da wusste ich sofort , wovon da geredet wurde, was sehr oft die Brücke war, die einen guten Kontakt möglich machte.

    Jüngere Kollegen hatten damit deutlich mehr Schwierigkeiten.

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